Interview mit Dr. Dr. Tobias Paulun (Chief Strategy Officer, EEX AG)
4. Januar 2021
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Dr. Annette Nietfeld: Herr Dr. Paulun, wie bewerten Sie als Energiebörse die Pläne von EU-Kommission und Bundesregierung für den Aufbau von Wasserstoffmärkten?
Dr. Dr. Paulun: Als EEX begrüßen wir es sehr, dass der Aufbau von Wasserstoffmärkten mit großer Priorität vorangetrieben wird. Die Entwicklung der EU-Wasserstoffstrategie halten wir für zentral, denn wir brauchen für den Wasserstoffmarkthochlauf eine wahrhaft europäische Kraftanstrengung, um diese Mammutaufgabe erfolgreich stemmen zu können. Jeder EU-Mitgliedsstaat setzt mit seiner jeweiligen Wassersstoffstrategie eigene Prioritäten, doch sind sie im Wesentlichen mit den Plänen der EU-Kommission harmonisiert. Aus unserer Sicht kann sich hierdurch ein gemeinsames europäisches System entwickeln, bei dem jeder Mitgliedsstaat seine Stärken einbringen kann. Und dahin wollen wir auch als EEX: Wir setzen auf die Entwicklung friktionsfreier europäischer Wasserstoffmärkte. Und wir sehen den Wasserstoffmarktaufbau auch als Gelegenheit, Europas einzigartige Expertise im Aufbau liberalisierter Energiehandelsmärkte zu nutzen: Wenn es uns gelingt, bald transparente Handelsbedingungen für Wasserstoff zu schaffen, können die europäischen Wasserstoffmärkte eine internationale Anziehungskraft entwickeln, Europa kann zum globalen Hub für grünen und kohlenstoffarmen Wasserstoff werden.
Dr. Annette Nietfeld: Die EEX schaut also schon heute sehr genau auf die Wasserstoffmärkte. Die Entwicklung reifer Märkte wird allerdings erst für etwa 2030 erwartet. Warum sind Sie jetzt schon aktiv?
Dr. Dr. Paulun: Wir sind überzeugt, dass transparente Energiehandelsmärkte bereits in sehr naher Zukunft einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft leisten können. Schon seit vielen Jahren verbinden wir Teilnehmer u.a. an Strom-, Gas- und CO2-Emissionsmärkten. Besonders Strom- und CO2-Preise können marktbasiert die Produktion von grünem Wasserstoff anreizen – mit positiven Auswirkungen auf die Stabilität des Stromsystems. Die Wasserstoffproduktion kann dann an transparenten Wasserstoffmärkten gehandelt werden. Diese sind diskriminierungsfrei zugänglich und tragen daher dazu bei, dass der Wasserstoff von einem breiten Feld verschiedener Verbraucher genutzt werden kann. Unsere Märkte verbinden Sektoren, Anbieter und Nachfrager, dadurch tragen sie zum Gelingen der Energiewende bei, und all das gesteuert durch Marktpreise.
Dr. Annette Nietfeld: Wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten, heute schon einen liquiden Markt aufzubauen?
Dr. Dr. Paulun: Der Aufbau von Wasserstoffhandelsmärkten wird schrittweise erfolgen. Anfangs wird es sicher keinen regen, liquiden Handel wie heute an unseren Strom- und Gasmärkten geben, das kommt zu gegebener Zeit. Wie der Markt zu Beginn aussehen wird, hängt von den Wünschen der Marktteilnehmer, aber auch den Rahmenbedingungen, wie Netzregulierung und Fördersystemen, ab. Wir können uns beispielsweise vorstellen, zunächst einen lokal begrenzten Handel anzubieten und diesen nach und nach auszubauen. Auch für Beimischungen von Wasserstoff zum Erdgasnetz haben wir Marktideen. Eine wichtige Rolle spielen auch Herkunftsnachweise oder andere Formen von Zertifikaten. Auf diesem Feld sind wir als EEX Gruppe über unsere Tochter Grexel bereits aktiv, denn Grexel führt das erste europäische Herkunftsnachweisregister CertifHy operativ. Als EEX blicken wir mit Stolz auf eine zwanzigjährige Erfahrung im Aufbau von Energiemärkten zurück. Unsere heute erfolgreichen Strom- und Gashandelsmärkte haben wir nach und nach entwickelt, diese Expertise wollen wir auch beim Aufbau eines Wasserstoffmarktes einbringen.
Dr. Annette Nietfeld: An der EEX handeln Energiehandelsunternehmen aus verschiedenen Sektoren, was sagen diese zu Ihren Plänen?
Dr. Dr. Paulun: Wir stehen in engem Austausch mit unseren Handelsteilnehmern. Wir alle wissen, dass wir uns am Beginn eines langen Prozesses befinden. Wir alle stehen vor der gänzlich neuen Situation, einen Markt zu entwickeln, der physisch fast noch nicht existiert. Dabei handelt es sich um einen Markt, der die Dekarbonisierung vieler zentraler Sektoren entscheidend voranbringen wird. Das befördert Pioniergeist und Innovationskraft, es macht uns allen viel Spaß. Um diese gemeinsame Motivation für die Marktentwicklung zu nutzen, haben wir den EEX-Wasserstoffarbeitskreis ins Leben gerufen. Bislang haben sich etwa fünfzig Unternehmen bereiterklärt, ihre Expertise in den EEX-Wasserstoffarbeitskreis und in die Produktentwicklung für Wasserstoffmärkte einzubringen.
Dr. Annette Nietfeld: Welche Voraussetzungen sind erforderlich, damit Wasserstoff zu einem handelbaren Energieträger wird?
Dr. Dr. Paulun: Ganz grundsätzliche Rahmenbedingungen wie Netzzugang und Transport müssen geklärt sein. Hierbei sprechen wir uns für einen diskriminierungsfreien, regulierten Netzzugang aus. Gerade in der Anfangszeit gibt es gegebenenfalls noch andere Formen des Wasserstofftransports als der in Netzen, auch hier muss der Zugang diskriminierungsfrei und offen erfolgen.
Von Beginn an sind klare Standards nötig. Zum Beispiel wird sehr bald grüner Wasserstoff nach Europa importiert werden. Dafür braucht es eine klare Regelung, welche regulatorischen und technischen Standards in den Produktionsländern erfüllt werden müssen, damit der Wasserstoff in Europa transportiert, genutzt und ggf. gefördert werden kann. Dies könnte zum Beispiel in Form von Zertifikaten, ähnlich den Herkunftsnachweisen, erfolgen. Aber auch für europäischen Wasserstoff brauchen wir Klarheit über die künftigen Wasserstoffherkunftsnachweise. Um mittelfristig grenzüberschreitenden Handel, oder auch die Einführung grenzüberschreitender Marktgebiete, zu ermöglichen, sind dringend harmonisierte Netz- und Marktregeln erforderlich. Und ganz besonders: Bei der Förderung von Wasserstoff ist es unerlässlich, dass diese die Entstehung von Handelsmärkten und unverzerrten Marktpreisen unterstützt. Wir bringen uns bei all diesen Themen konstruktiv ein.
Dr. Annette Nietfeld: Am 2. März 2021 werden Sie bei ENERGIE.CROSS.MEDIAL mitwirken. Welche Impulse erhoffen Sie sich von dieser Mitwirkung bei ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2021?
Dr. Dr. Tobias Paulun: Ich freue mich darauf zu diskutieren, wie wir den Wasserstoffmarkthochlauf gemeinsam gestalten können. Ich selber möchte den Kolleginnen und Kollegen aufzeigen, welches Potential in Wasserstoffmärkten steckt und freue mich über einen Austausch hierzu. Und vielleicht entstehen ja ganz neue Ideen.